[Beschluss des Landesparteitages DIE LINKE. Bremen vom 27.03.2021]
Wir treten „Querdenken“ und „Querdenken 421“ in Bremen entschieden entgegen. Wir rufen alle Bremer:innen auf, rechten und verharmlosenden Positionen zur Corona-Pandemie zu widersprechen und sich den Gegenprotesten anzuschließen. Wir rufen alle Genoss:innen der LINKEN auf, keine gemeinsame Sache mit nach rechts offenen Organisationen zu machen. Von öffentlichen Auftritten einzelner Mitglieder des Landesverbands bei Veranstaltungen von Querdenken 421 distanzieren wir uns.
„Querdenken“ ist eine im Frühling/Sommer 2020 entstandene Protestbewegung, die für die Abschaffung aller Einschränkungen eintritt, die gegen die Ausbreitung der Covid19-Pandemie ergriffen werden. Dabei verbreiten Akteur:innen von Querdenken gezielt Falschinformationen über die gesundheitlichen Risiken des Virus bzw. leugnen diese in Teilen ganz. Anstatt wissenschaftliche Fakten ernst zu nehmen, werden Alternativerzählungen und antisemitische Verschwörungsmythen über eine vermeintlich zentral gesteuerte, künstlich erschaffene Pandemie zur Durchsetzung der Einschränkungen von Freiheitsrechten und Demokratie verbreitet. Durch den Aufruf, auf Vorsichtsmaßnahmen wie die AHA-Regeln zu verzichten, nimmt Querdenken die gesundheitliche Gefährdung insbesondere von älteren Menschen und Menschen mit Vorerkrankung in Kauf. Anstatt dessen wird das vermeintlich geringe gesundheitliche Risiko für jüngere und gesunde Menschen betont. Damit werden die Leben von Menschen mit erhöhtem Risiko für einen schweren Verlauf für verzichtbar erklärt. Querdenken relativiert die Verbrechen des Nationalsozialismus, indem die Maßnahmen gegen die Pandemie mit Faschismus und Diktatur gleichgesetzt werden und sich die Akteur:innen von Querdenken immer wieder mit Widerstandskämpfer:innen gegen die NS-Diktatur vergleichen. Dies ist eine nicht hinnehmbare Verhöhnung und Instrumentalisierung der Opfer des Nationalsozialismus.
Schon seit den ersten Protesten gegen die Corona-Maßnahmen waren rechte Akteur:innen wie Reichsbürger:innen, AfD-Politiker:innen, Neonazis, Hooligans und Anhänger:innen von Verschwörungsmythen wie QAnon Teil der Aktionen. Schon zu Beginn zeichnete sich ab, dass es von Querdenken selbst so gut wie keine Distanzierung von rechten Akteur:innen und Positionen gibt, anstatt dessen wurde die Überparteilichkeit und Offenheit für jede politische Position betont. Immer wieder wird bekannt, dass rechtsextreme Personen Funktionen innerhalb von Querdenken einnehmen und durch Querdenken eine Plattform erhalten, ihre faschistische Ideologie zu verbreiten. Führende Köpfe wie Michael Ballweg arbeiten mit eindeutig rechtsextremen Akteur:innen zusammen und verteidigen bzw. relativieren diese Zusammenarbeit anstatt sich von ihnen zu distanzieren.
Das führt auf den Kern des politischen Projekts „Querdenken“. Im Mittelpunkt steht nicht, Rechtsextremen eine Bühne auf der Bühne zu bieten – sondern eine Bühne auf den Veranstaltungen, an denen sie ganz normal teilnehmen sollen, als Teil der Mitte der Gesellschaft. Diese Normalisierung rechtsextremer Positionen und Organisationen wird auch über die verschwörungstheoretische Ideologie betrieben, die in der Querdenken-Bewegung vermittelt wird: nationaler „Widerstand“ gegen ein totalitäres System, gegen ein verschworenes Establishment, gegen den Verlust nationaler Souveränität. So können sich auch Faschisten als Teil eines „Widerstands mit dem Grundgesetz“ einreihen. Der Ausstieg aus dem antifaschistischen Konsens wird von Querdenken so aktiv betrieben.
In Leipzig, Dresden, Kassel und Berlin kam es bei Versammlungen von Querdenken zu schweren Ausschreitungen durch Hooligans und andere rechte Gewalttäter:innen. Ende August gelang es ihnen, mit Reichsfahnen die Absperrungen des Bundestages zu durchbrechen, was Bremen auf Initiative des antifaschistischen Bündnisses in Bremerhaven zum Anlass nahm, das öffentliche Zeigen von Reichsflaggen zu verbieten. Im November gelang es von der AfD eingeschleusten Akteuren aus diesem Spektrum sogar, im Bundestag Abgeordnete und Mitarbeiter:innen zu bedrängen.
Zum ideologischen Angebot gehört auch, sich von unangenehmen Erkenntnissen der Wissenschaft nach Belieben freimachen zu können. Wissenschaft ist plural, Mehrheitsmeinungen müssen auch in der Wissenschaft nicht richtig sein – die Geschichte ist voll von Beispielen. Aber der politische Umgang mit Wissenschaft ist kein Rosinenpicken, bei dem man sich die Meinung heraussucht, die einem am meisten entgegenkommt. Die Rolle der Wissenschaft bei der politischen Anerkennung der Klimakrise lag nicht zuletzt darin, die abgestufte Stärke des wissenschaftlichen Konsens bei der Beurteilung bestimmter Fakten – nach ausführlicher und transparenter Diskussion – als eine Orientierungsmarke zu etablieren, an der Politik nicht vorbeikommt. Je stärker dieser Konsens ist, desto höher liegt die Anforderung, eine abweichende Position wissenschaftlich zu begründen. Der Verweis auf einzelne abweichende Stellungnahmen oder auf „geleakte“ Papiere reicht dafür nicht. Der oberflächliche Umgang der Querdenken-Bewegung mit Wissenschaft bereitet einer Leugnung von unangenehmen Tatsachen in der Klimakrise den Weg – auch das ist Teil der Attraktivität der Bewegung.
Die Bremer Regionalgruppe „Querdenken 421“ hat sich von Beginn an als Teil der bundesweiten Querdenken-Bewegung verstanden. Das ist im Namen wie auf der Website deutlich. Auf den Veranstaltungen wird der „Demokratische Widerstand“, die bundesweite Zeitung von „Querdenken“, beworben. Im Dezember hat Querdenken 421 Michael Ballweg und andere rechte Querdenken-Größen nach Bremen eingeladen. Damit hat sich jeder Versuch erledigt, die Bremer Regionalgruppen getrennt vom bundesweiten Querdenken-Zusammenhang beurteilen zu wollen. Teile der Infrastruktur der Querdenken-Aktionen in Bremen, aber auch die Räume zur Vorbereitung und wesentliche Organisationsaufgaben werden von einem offensichtlichen AfD-Anhänger gestellt, der auf Social Media Plattformen mit Reichsfahnen posiert und eine Nähe zur Reichsbürger-Szene erkennen lässt. Auf Demonstrationen von Querdenken gab es Auftritte des Sängers der Querfront-Band Bandbreite. Diese ist dafür bekannt, antisemitische Verschwörungsideologie zu verbreiten und u.A. bei Veranstaltungen der AfD aufzutreten. Es ist deutlich, dass es auch in Bremen bei Querdenken 421 kein kritisches Bewusstsein für die Gefahren von Rechts gibt und keine Bestrebungen, sich durch Distanzierungen von rassistischem, antisemitischem und faschistischem Gedankengut abzugrenzen.
Querdenken und Querdenken 421 sind unvereinbar mit linken Positionen. Wir stellen uns gegen Querdenken und Querdenken 421 und begrüßen und unterstützen die Proteste gegen Querdenken 421.
In Anbetracht dessen distanzieren wir uns von der Aktivität einzelner Mitglieder des Bremer Landesverbands der LINKEN innerhalb der Organisationsstrukturen von Querdenken 421, und fordern sie auf, diese Aktivitäten unverzüglich zu beenden.
Im Landesverband ist von einer Handvoll Mitglieder eine Arbeitsgruppe „Linke Corona-Politik“ gegründet worden. Damit soll suggeriert werden, diese Personen würden für die Corona-Politik des Landesverbands sprechen. Das ist nicht der Fall. Da die Gruppe sich trotz Pandemie ausschließlich in Präsenz trifft, ist es für andere Mitglieder nicht möglich, an der Arbeitsgruppe teilzunehmen und auf deren Positionen Einfluss zu nehmen. Damit entspricht die Arbeitsweise nicht demokratischen Grundsätzen. Der Versuch, über eine faktisch geschlossene Arbeitsgruppe Querdenken-Positionen in der Öffentlichkeit als Positionen des Landesverbands darzustellen, schadet der Partei. Der Landesparteitag beschließt daher die Auflösung dieser Arbeitsgruppe gemäß §5 Absatz 4 der Landessatzung.
Die Covid19-Pandemie und ihre Folgen sind eine der schwersten Krisen der vergangenen Jahrzehnte. Die Pandemie- und Pandemiefolgenbekämpfung ist immer wieder Gegenstand von politischen und auch juristischen Auseinandersetzungen. Kritik und Protest gegen Corona-Maßnahmen sind legitim. Wir treten weiter dafür ein, dass das Demonstrationsrecht auch unter Bedingungen der Covid-19-Pandemie gewährleistet sein muss. In der Partei sind selbstverständlich unterschiedliche Positionen zur Corona-Politik und den damit verbundenen Maßnahmen möglich. Auch Linke kritisieren die Patentierung und profitorientierte Vermarktung der Impfstoffe, die sozial, geschlechter- und migrationsspezifisch ungerechten Auswirkungen der Pandemie und das völlig unzureichende Gegensteuern der Bundesregierung. Eine Zusammenarbeit mit der Querdenken-Bewegung, oder gar eine organisatorische Mitarbeit in dieser, ist für Menschen, die sich als links verstehen, aber nicht möglich.
Die Covid-19-Toten von Bergamo und New York sind real, ebenso wie die erschütternden Berichte von Erkrankten, Angehörigen und Krankenhaus-Beschäftigten über diejenigen, die nach einer Infektion um ihr Leben kämpften. Dies abzutun mit der Behauptung, Covid-19 sei „nicht oder nicht wesentlich bedrohlicher als andere Grippeinfektwellen, wie sie zu jedem Jahreswechsel auf der Nordhalbkugel stattfinden“ („Demokratischer Widerstand“ Nr. 39), ist für uns schwer erträglich.
Begründung
Die anhaltenden Einschränkungen im Zuge der Corona-Pandemie wirken sich für viele Menschen zunehmend belastend aus. Verfechter:innen von Verschwörungsmythen wie Impfgegner:innen und Corona-Leugner:innen versuchen sich das zunutze zu machen. Wie im Antragstext dargestellt, handelt es sich dabei nicht um harmlose, an einem kritisch-hinterfragenden fakten-basierten Diskurs interessierte Zusammenschlüsse, sondern mindestens in Teilen um Vertreter:innen von antisemitischer, nationalistischer, menschenfeindlicher und in Teilen faschistischer Ideologie. Es ist auch als LINKE wichtig, klar Stellung zu beziehen und darzustellen, warum diese Art von Kritik an den Corona-Maßnahmen keine linke, keine wissenschaftliche und auch keine demokratische Auseinandersetzung mit der Covid19-Pandemie und den Maßnahmen gegen diese ist.